Passagierluftverkehr läuft nur sehr langsam wieder an. Reisebeschränkungen blockieren weiterhin fast 70 Prozent des Luftverkehrs
BDL legt Halbjahresbilanz der deutschen Luftverkehrswirtschaft 2020 vor
Nachdem der weltweite Luftverkehr in den Monaten von März bis April dieses Jahres fast vollständig zum Erliegen gekommen war, läuft er seit Juni nur langsam wieder an. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) stellte jetzt die Halbjahresbilanz und erste Ergebnisse der Entwicklung in diesem Sommer vor. Demnach ist für das gesamte erste Halbjahr in Deutschland ein Rückgang des Passagierluftverkehrs um 66 Prozent (weltweit 53 Prozent) zu verzeichnen. Insgesamt ging der Passagierverkehr aus und nach Deutschland damit sogar noch stärker zurück als im weltweiten und europäischen Schnitt.
Auch im bisherigen Sommer bleibt die Entwicklung hinter den Erwartungen zurück. Seit Juni 2020 nehmen die deutschen und ausländischen Fluggesellschaften ihre Flugverbindungen schrittweise wieder auf. Ab europäischen Flughäfen finden im Zeitraum von Juli bis August im Vergleich zum Vorjahr wieder 40 Prozent der Passagierflüge statt. In Deutschland ist diese Entwicklung sogar noch geringer. Hier werden nur 33 Prozent der Passagierflüge wieder angeboten (27 Prozent der Inlandsflüge, 37 Prozent der Europaflüge und 21 Prozent der Interkontinentalflüge). Ende August geht diese Wiederaufnahmerate in Deutschland zusätzlich leicht zurück. Die deutschen Flughäfen haben während der gesamten Krise ihre Betriebsfähigkeit aufrechterhalten, während gleichzeitig bis zu 95 Prozent der Einnahmen, wie beispielsweise aus dem Einzelhandel, fehlten.
„70 Prozent des Marktes sind weiterhin betroffen, weil es derzeit pandemiebedingte Reisebeschränkungen für Drittstaaten gibt – Spanien einbezogen sind es sogar 80 Prozent. Wenn wir wollen, dass der Luftverkehr sich wieder selber finanzieren kann, müssen die Blockaden enden. Eine Nachfrage ist da. Deswegen müssen wir weiter daran arbeiten, Reisebeschränkungen aufzuheben und gesundheitlich verantwortbare Alternativen für die derzeitigen blockierenden Regeln finden“.
BDL-Präsident Peter Gerber
„70 Prozent des Marktes sind weiterhin betroffen, weil es derzeit pandemiebedingte Reisebeschränkungen für Drittstaaten gibt – Spanien einbezogen sind es sogar 80 Prozent. Wenn wir wollen, dass der Luftverkehr sich wieder selber finanzieren kann, müssen die Blockaden enden. Eine Nachfrage ist da. Deswegen müssen wir weiter daran arbeiten, Reisebeschränkungen aufzuheben und gesundheitlich verantwortbare Alternativen für die derzeitigen blockierenden Regeln finden“, sagte Peter Gerber, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) bei der Vorstellung des Lageberichts. „Bereits im April hat die Luftverkehrswirtschaft Maßnahmen entlang der gesamten Reisekette mit den Behörden in Bund und Ländern etabliert, um gesundheitlich sicheres Fliegen zu gewährleisten. Jetzt braucht es insbesondere Maßnahmen für die Wiederaufnahme des Transatlantikverkehrs.“ Dazu gehöre etwa die Festlegung einzelner Destinationen zwischen den USA und Deutschland, zwischen denen dann mittels verbindlicher Vorabtests Infektionsrisiken vermieden werden können, so Gerber.
Dem Bericht des BDL zufolge ist die Entwicklung der Luftfrachtverkehre weltweit nicht so stark rückläufig wie das Passagiergeschäft. Gerade in der Corona-Krise wurde die Systemrelevanz des Luftverkehrs für die Aufrechterhaltung der Lieferketten deutlich. Weltweit gingen die beförderten Frachtmengen in der ersten Jahreshälfte nur um 15 Prozent zurück. An den deutschen Flughäfen ist der Luftfrachtverkehr im ersten Halbjahr um 10 Prozent zurückgegangen.
Die Corona-Krise und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen für die Luftfahrtunternehmen haben die Unternehmen zu einer Reihe von Stabilisierungsmaßnahmen gezwungen. 83.000 Beschäftigte allein bei den deutschen Fluggesellschaften und Flughafengesellschaften sind in Deutschland in Kurzarbeit. „Wir erleben die tiefste Krise der zivilen Luftfahrt. Unsere Unternehmen arbeiten intensiv an der Zukunftssicherung der Arbeitsplätze und Standorte. Die zwingend erforderlichen Maßnahmen reichen von der Verkleinerung der Flotten und der Stilllegung von Terminalbereichen, über die Reduzierung des Flugangebotes bis hin zu Verhandlungen über den strukturellen Abbau von Arbeitsplätzen. Dieser radikale Sparkurs der Unternehmen ist alternativlos“, so Gerber. „Wegen der hohen Fixkosten und der Länge der andauernden Krise reichen unsere eigenen Maßnahmen aber nicht aus, um die Liquiditätslücken zu schließen. Zur Vermeidung von Insolvenzen sind daher staatliche Finanzierungsbrücken unumgänglich.“ Gerber trat aber dem Eindruck entgegen, der Steuerzahler müsse nun die Stabilisierungsbrücken bezahlen. „Die öffentliche Hand lässt sich diese sehr lukrativ zurückerstatten. Damit steigt in der Folge natürlich die Schuldenlast der Unternehmen. Aber wenn die Unternehmen die Insolvenz vermeiden wollen, kommen sie nicht darum herum, Vereinbarungen zu diesen staatlichen Finanzierungsbrücken zu treffen.“
Der BDL-Präsident nannte eine Reihe von weiteren staatlichen flankierenden Stabilisierungsmaßnahmen, um irreparable Strukturbrüche in der deutschen Luftfahrt zu vermeiden: „Die Kurzarbeiterregelung sollte bis mindestens 2022 verlängert werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass auch die Flughäfen, die während der gesamten Krise ihren Betrieb aufrechterhalten haben, jetzt zügig Zugang zu Finanzierungsbrücken erhalten. Und der Bund muss Vorsorge treffen, um die massiven Einnahmeausfälle der Flugsicherung mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt auszugleichen.“
Der Ausblick auf die weitere Zukunft lässt erwarten, dass sich der Luftverkehr erholen wird, aber nur schrittweise über einen längeren Zeitraum. Die IATA prognostiziert für 2020 einen Passagierverlust von minus 63 Prozent in Deutschland (minus 113 Millionen Passagiere) und damit verbundene Ertragsverluste in Höhe von 17 Milliarden Euro. In einem Szenario, das eine wirkungsvolle Impfung oder Medikation im Verlauf des Jahres 2021 unterstellt, geht der BDL davon aus, dass der Luftverkehr von und nach Deutschland im Jahr 2023 wieder 90 Prozent des Niveaus von 2019 erreicht, ab 2024 das Niveau von 2019 erreicht und dann entsprechend früherer durchschnittlicher Wachstumsraten von 3 Prozent pro Jahr zunehmen wird. Diesem Szenario zufolge wird damit künftig dauerhaft ein bestimmter Anteil potenzieller Passagiere, statt realer Zusammenkünfte, digitale Kommunikations- und Begegnungsinstrumente wählen.
Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Fluggesellschaften: Der Betrieb der Passagier-Fluggesellschaften ist weltweit beinahe vollständig zum Erliegen gekommen. Bezogen auf das erste Halbjahr hat der weltweite Luftverkehr mit -58% über die Hälfte der Nachfrage verloren. In Europa war diese Entwicklung mit -62% am stärksten und die deutschen Fluggesellschaften lagen wiederum mit -65% an der Spitze dieser negativen Nachfrageentwicklung. Im Juni zeigten sich leichte Erholungstendenzen – diese Entwicklung war aber in Europa am schwächsten ausgeprägt.
- Flughäfen: Im ersten Halbjahr 2020 gingen die Passagierzahlen weltweit insgesamt um -53% zurück, Europa lag hierbei mit -56% an der Spitze dieser Entwicklung. In Deutschland gab es ein Minus von 66 Prozent bei den Passagierzahlen. Der Einbruch der Passagierzahlen erfolgte über alle Verkehrssegmente: innerdeutsch -66,3 Prozent, innereuropäisch -67,5 Prozent und interkontinental -60,4 Prozent. Die deutschen Flughäfen haben während der gesamten Krise ihre Betriebsfähigkeit aufrechterhalten, während gleichzeitig bis zu 95 Prozent der Einnahmen, wie beispielsweise aus dem Einzelhandel, fehlten.
- Luftfracht: Die weltweit rückläufige Nachfrage nach Luftfracht erreichte im April ihren Tiefpunkt mit einem Minus von 28 Prozent der beförderten Frachtmenge. Insgesamt gingen die Frachtmengen in der ersten Jahreshälfte um -15 Prozent zurück. Der Luftfrachtverkehr an den deutschen Flughäfen ist in der ersten Jahreshälfte um 10 Prozent zurück-gegangen. Die Entwicklung der Luftfrachtstandorte in Europa verlief höchst unterschiedlich: Während die Flughäfen mit Frachtexpressverkehr kaum geschwächt wurden oder sogar ein Plus verzeichnen konnten, erfuhren Flughäfen mit einem Fokus auf Beiladefracht einen ähnlichen Einbruch wie im Passagiergeschäft.
- Stabilisierungsmaßnahmen: Die Fluggesellschaften reduzieren ihr Flugangebot im Jahr 2020 um ca. 56 Prozent und verkleinern ihre Flotten. Flughäfen schließen zeitweise Terminalbereiche und Betriebsflächen. Die Unternehmen nutzen Kurzarbeit, um qualifizierte Fachkräfte in der Krise halten zu können: Allein bei den deutschen Fluggesellschaften und Flughafengesellschaften sind in Deutschland insgesamt 83.000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Zudem gibt es Stabilisierungsmaßnahmen des Staates: Diese bestehen weitestgehend aus Krediten, in einzelnen Fällen auch aus Beteiligungen. Seit Mitte August haben die staatlichen Institutionen durch die EU-Kommission den rechtlichen Spielraum erhalten, auch den Flughäfen finanziell zur Seite zu springen.
- Preisentwicklung: Der Trend leicht steigender Ticketpreise aus dem Vorjahr hat sich fortgesetzt. Im Europaverkehr lagen die Preise rund 9 Prozent über den durchschnittlichen Werten von 2019, auch im innerdeutschen Verkehr zogen die Preise an. (Laut Stat. Bundesamt sind die Werte für den Zeitraum April – Juni 2020 aufgrund geringer Fallzahlen weniger belastbar als in den Vormonaten)
- Flugbewegungen: Die von der DFS Deutsche Flugsicherung kontrollierten Bewegungen in und über Deutschland sanken im ersten Halbjahr 2020 um -53 Prozent – von 1.610.716 Flugbewegungen im ersten Halbjahr 2019 auf 757.945 Flugbewegungen im selben Zeitraum 2020. Diese Entwicklung betrifft sowohl die An- und Abflüge in Deutschland, wie auch die Überflüge. Im innerdeutschen Verkehr war der Rückgang etwas schwächer als bei den internationalen Flügen und Überflügen.
- Ausblick: Die IATA prognostiziert im Gesamtjahr 2020 in Deutschland einen Passagierrückgang um -63 Prozent – das entspricht 113 Millionen Passagieren – sowie einen Ertragsverlust der Fluggesellschaften von -17 Prozent. In einem Szenario, das eine wirkungsvolle Impfung oder Medikation im Verlauf des Jahres 2021 unterstellt, geht der BDL davon aus, dass der Luftverkehr von und nach Deutschland im Jahr 2023 wieder 90 Prozent des Niveaus von 2019, ab 2024 das Niveau von 2019 erreicht und dann entsprechend früherer durchschnittlicher Wachstumsraten von 3 Prozent pro Jahr zunehmen wird. Diesem Szenario zufolge wird damit künftig dauerhaft ein bestimmter Anteil potenzieller Passagiere, statt realer Zusammenkünfte digitale Kommunikations- und Begegnungsinstrumente wählen.
Zweimal im Jahr legt der BDL Kennzahlen zur Lage der deutschen Luftverkehrswirtschaft vor und ordnet diese anhand von internationalen Vergleichszahlen ein. Für den Jahresbericht zieht der BDL unterschiedliche aktuelle Quellen heran: die konsolidierten Zahlen der BDL-Mitgliedsunternehmen, weltweite Vergleichszahlen der internationalen Verbände IATA und ACI sowie Daten des Statistischen Bundesamtes und der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol.
Die Grafiken finden Sie hier: https://www.bdl.aero/de/publikation/bericht-zur-lage-der-branche/