Tagesspiegel Fachforum Klimaschutz und Luftverkehr

Tagesspiegel Fachforum Klimaschutz und Luftverkehr

Die Nachfrage nach Luftverkehr wächst weltweit. Immer mehr Menschen können und wollen fliegen. Die Möglichkeit, in wenigen Stunden von Kontinent zu Kontinent zu reisen, ist Teil unserer heutigen global vernetzten Welt. Gleichzeitig stellen sich angesichts der Klimaschutzdiskussion viele die Fragen: Muss eigentlich so viel geflogen werden? Muss Fliegen nicht viel teurer oder gar verboten werden? Oder aber gibt es Möglichkeiten das Fliegen so zu gestalten, dass es stärker in Einklang mit dem Klimaschutz gebracht werden kann? Zu diesen Fragen lud der Tagesspiegel am 23. Oktober 2019 Vertreter aus Luftfahrt und Tourismus, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zum  Fachforum „Klimaschutz und Luftverkehr“ nach Berlin ein.

Impulsvortrag

Ralf Fücks, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne und ehemaliger Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, gab im Rahmen eines Impulsvortrages erste Antworten auf diese dringenden Fragen. Er betonte, dass es für die meisten Flüge keine Alternative gebe und es unrealistisch sei, die Zahl der Flugreisen zu reduzieren. Außerdem korreliere das derzeitige Ausmaß der Kritik am Luftverkehr nicht mit dem realen Anteil der Luftfahrt am Klimawandel. Es sei daher entscheidend, nicht über das schlechte Gewissen zu sprechen sondern über alternative Technologien wie synthetische Kraftstoffe sowie wirksame Möglichkeiten zur CO2-Bepreisung auf internationaler oder mindestens europäischer Ebene. „Biokerosin aus Algen, synthetische Kraftstoffe aus überschüssigem grünem Strom, all das ist technisch machbar. Wir müssen damit jetzt im industriellen Maßstab anfangen, weil die Erneuerung der Luftflotte einen langen Vorlauf braucht.“

Panel: Warum fliegen wir überhaupt?

In der anschließenden Diskussionsrunde ging es um die Frage, warum überhaupt geflogen wird und ob es dazu ernsthafte Alternativen gibt.

  • Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, hob die Rolle von Luftverkehr als Motor für die Völkerverständigung hervor: „Es ist eine große Errungenschaft, dass sich heute Menschen aus allen Schichten Flugreisen leisten können und damit die Möglichkeit haben, die Welt zu entdecken und ihren Horizont zu erweitern. Für den Klimaschutz müssen wir das Fliegen nicht verbieten oder rationieren, sondern klimafreundlich machen.“
  • Ricarda Lang, Sprecherin der Grünen Jugend, warb für einen verstärkten Ausbau des Bahnnetzes und die Abschaffung innerdeutscher Flüge: „Das Maß in dem heute geflogen wird und die politische Subventionierung des Flugverkehrs tragen dazu bei, dass die Freiheit von zukünftigen Generationen und Menschen im globalen Süden, die die Folgen der Klimakrise schon heute zu spüren bekommen, massiv eingeschränkt wird. Wer das einfach ignoriert oder tatenlos auf ein technisches Wunder wartet, reduziert Freiheit auf Egoismus.“
  • Clara Meyer von der Fridays for Future-Bewegung forderte einen Mobilitätswandel: „Es kann nicht sein, dass Flugverkehr durch das Fehlen einer Kerosinsteuer subventioniert wird, während Bahnfahren besteuert ist. Um von dem heutigen Flugwahnsinn wegzukommen, müssen wir Europaweit in nachhaltige Mobilitätskonzepte investieren, die Anreize für diese Konzepte für Kunden erhöhen und im besten Falle Flüge, vor allem Inlandsflüge, so unattraktiv wie möglich machen.“
  • Christoph Carnier, Präsident des Verbands Deutsches Reisemanagement (VDR), wies darauf hin, dass es für Geschäftsreisende häufig keine anderen Möglichkeiten als das Fliegen gebe, um Geschäftstermine an einem Tag wahrzunehmen: „Es gibt heute schon Möglichkeiten Dienstreisen durch digitale Alternativen zu ersetzen. Und jedes Unternehmen ist hier gefordert entsprechend abzuwägen. Aber der persönliche Kontakt bleibt trotzdem weiter wertvoll. Die Frage ist also nicht, wie wir Dienstreisen abschaffen, sondern wie sich die Frequenz reduzieren lässt.“
  • Michael Rabe, Generalsekretär des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), hob die wirtschaftliche und entwicklungspolitische Rolle von Luftverkehr und Tourismus hervor und appellierte für Innovationen für den Klimaschutz: „Verbote oder Steuern haben wenig Potenzial, Exportschlager in alle Welt zu werden – ganz anders als innovative Produkte und Antriebsformen, deren Einsatz sich für Wirtschaft und Klimaschutz gleichermaßen lohnt. Solchen Lösungen gehört die Zukunft, denn Deutschland wird fraglos Nachahmer rund um den Globus brauchen, wenn der europäische Klimaweckruf tatsächlich auch eine nachhaltige Wirkung haben soll.“

Impulsvortrag

Thomas Jarzombek, Koordinator für Luft- und Raumfahrt der Bundesregierung, betonte in seinem Impulsvortrag die Bedeutung von Forschung und Entwicklung auf dem Weg zum klimaneutralen Fliegen. Diese spielten eine zentrale Rolle, da jede neue Flugzeuggeneration 25 Prozent weniger Kerosin verbrauche. Thomas Jarzombek bekräftigte, dass er und die Bundesregierung Forschung und Entwicklung weiter intensiv unterstützen würden. „Bei Nachhaltigkeit voranzugehen bedeutet zugleich strategische Industriepolitik zu betreiben, indem wir jetzt Kompetenzen aufbauen und neue Technologien für elektrisches und hybridelektrisches Fliegen zur Anwendungsreife bringen.“

Panel: Wie gelingt klimafreundliches Fliegen?

In der nachfolgenden zweiten Diskussionsrunde stand die Frage im Vordergrund, wie klimafreundliches Fliegen gelingen kann.

    • Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des BDL, bezeichnete die Frage, wie es gelingen kann, Luftverkehr und Klimaschutz miteinander in Einklang zu bringen, als zentrale Zukunftsfrage der Branche: „Dazu brauchen wir wirksame Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen wie eine internationale CO2-Bepreisung. Unser Ziel, Luftverkehr schadstoffärmer und auf lange Sicht sogar CO2-neutral zu gestalten, lässt sich aber nur durch weitere Investitionen in die Modernisierung der Flugzeugflotten und durch den Ersatz des fossilen durch einen regenerativen Kraftstoff erreichen.“
    • Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Bundesvorsitzender des BUND, sah die Verlagerung von Luftverkehr auf die Schiene als zentrales Element für den Klimaschutz: „Der effektivste Klimaschutz im Flugverkehr ist seine Reduktion und – für kürzere Strecken – Verlagerung auf die Schiene. Bis zum Jahr 2030 ist der gesamte innerdeutsche Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern. Der verbleibende Flugverkehr muss schnellstmöglich auf klimaneutrale Treibstoffe umgestellt werden, bei deren Produktion strenge Nachhaltigkeitskriterien zu beachten sind.“
    • Carsten Warnecke, Geschäftsführer des New Climate Institute, stellte infrage, dass das internationale CO2-Bepreisungsinstrument CORSIA ausreicht, um die Klimaschutzziele zu erreichen: „Mit der Einführung von CORSIA wird die notwendige Transformation des internationalen Flugverkehrs auf die lange Bank geschoben. Eine unverantwortliche Entscheidung mit Blick auf die Dringlichkeit der Klimaziele und die Erkenntnisse des IPCC.
    • Daniela Wagner, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, konstatierte, dass eine echte technische Lösung des Klimaproblems der Fliegerei nicht in Sicht sei: „Selbst wenn die industrielle Herstellung von synthetischen Treibstoffen gelingt, werden dafür ungeheure Mengen an grünem Strom benötigt. Außerdem bleiben auch dann noch massive sekundäre Klimawirkungen bestehen. Die Kompensation in anderen Bereichen ist eine Notlösung und das derzeitige internationale Konzept ist lange nicht so wirksam, wie es sein müsste.“
    • Thomas Jarzombek, Koordinator für Luft- und Raumfahrt der Bundesregierung, betonte, dass das Thema synthetische Kraftstoffe weiter intensiv vorangetrieben werden müsse: „Dazu sind allerdings Investitionen erforderlich, die wir jetzt auf die richtigen Projekte bringen müssen. Ich habe mich mit einigen Kollegen daher dafür ausgesprochen,  die Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer nicht nur zur wichtigen Mehrwertsteuersenkung bei der Bahn zu verwenden , sondern Sie auch in die Erforschung und Entwicklung innovativer klimafreundlicher Technologien zu investieren.“

An der vom Tagesspiegel ausgerichteten Veranstaltung nahmen über 130 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft teil.